In einem Klima des gesellschaftlichen Auseinanderdriftens erlebt der Begriff der Empathie eine Renaissance. Gilt die Fähigkeit zum Mitfühlen dabei einerseits als zentrales Mittel im Kampf gegen die Wut auf das vermeintlich Andere, wird in ihr andererseits die Gefahr einer sentimentalen Depolitisierung der Verhältnisse gesehen.
Mit „New Empathies“ startet das Radialsystem eine Programmreihe, die sich in Konzerten, Installationen, choreografischen Arbeiten, Workshops und Gesprächen den Möglichkeiten einer Praxis des Empathischen nähert und deren Potenziale in Bezug auf künstlerische, technologische, politische und ökologische Fragestellungen beleuchtet.
Zum Auftakt im Juni 2019 zeigte das Künstler*innenduo Enrico Ticconi und Ginevra Panzetti mit HARLEKING und EMPATIA –eight emphatic caprices zwei Arbeiten, die den Körper als Katalysator des menschlichen Erlebens und zugleich als Grenzbereich begreifen. Mit dem Konzertprojekt "Vollbild" präsentierte das Splitter Orchester, der größte Klangkörper der Echtzeitmusikszene, eine speziell für das Ensemble entstandene und durch die Groteskenmalerei der Renaissance inspirierte Komposition von Jean-Luc Guionnet zusammen mit einer neuen Gruppenimprovisation.
Mit "Pillow Talk" zeigte Begüm Erciyas, die sich in ihrer performativen Forschung mit dem Akt des Sprechens und der Unheimlichkeit der Stimme auseinandersetzt, im August 2019 eine immersive Performance, bei der die Stimme ein unergründliches Medium bleibt. Das Publikum – verteilt auf einer hügeligen Landschaft aus Kissen – tritt dazu mit einem*einer virtuellen Partner*in in einen Dialog.
Zum Auftakt des dritten Teils der Programmreihe im Januar 2020, laden die Choreografin Milla Koistinen und der Musiker Paul Valikoski das Publikum ein in "Constructing Love", dem ersten Teil der neuen Reihe „Pas de deux“, über eine Neuerfindung des Lebens und der Liebe nachzudenken. In seiner Arbeit 7 begibt sich der Choreograf Radouan Mriziga, derzeit Artist in Residence am Kaaitheater Brüssel, auf die Suche nach dem letzten Wunder der Welt: dem menschlichen Körper – und stellt die Schönheit von dessen Bewegung der geometrischen Stärke von Architektur und Skulptur gegenüber. Eine intensive Wahrnehmung von Zeit: In André Uerbas Performance "Burn Time" entsteht durch Fäden, die sukzessive entzündet werden, ein sich verändernder Raum, der in der Dunkelheit eine starke suggestive Kraft entfaltet. In "What’s That Noise?" lädt die Künstlerin Sandhya Daemgen zu einer atmosphärischen Listening Party ein, die mit Live-Musik, Geschichten und Aufnahmen Künstlerinnen und Musikerinnen der Vergangenheit würdigt, die musikalische und gesellschaftliche Grenzen überschritten haben.
Das vierte „New Empathies“-Wochenende Anfang Mai 2020, in dem wir uns erneut mit den Möglichkeiten des (Ein-)Fühlens auseinandersetzen wollten, konnte aufgrund der aktuellen Situation nicht wie geplant stattfinden – und die Frage danach, wie wir trotz Mindestabstand und Kontaktverbot untereinander Resonanz erzeugen können als Basis für Gemeinschaft, Solidarität und gesellschaftliches Bewusstsein, ist schlagartig zu einer spürbaren Herausforderung geworden.
Daher starteten wir Ende April unsere neue Online-Reihe „New Empathies – Far from a distance“, in deren Rahmen wir Zeiträume zu Begegnungen und gemeinsamen ästhetischen Erfahrung entstehen lassen sowie die Möglichkeiten und Grenzen virtueller Räume als Orte der Empathie ausloten, verschieben und reflektieren. Los ging es mit dem Workshop „What’s That Noise?“ von Sandhya Daemgen und einer Performance von Juan Dominguez, in der nicht das körperlich-visuelle, sondern die Stimme und das Zuhören im Vordergrund standen. Der Slow Reading Club lud uns zum kollektiven Lesen ein und das Kollektiv Scores for Gardens pflanzte einen virtuellen Garten. Im Juni ging es mit einer Lecture Performance des Sound-Journalisten Peter Cusack und einer interaktive Soundinstallation des Komponisten Wojtek Blecharz weiter.
Gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa.
„New Empathies“ wird gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Medienpartner: tip Berlin, Ask Helmut und Exberliner.
What's That Noise?
In Verbindung bleiben durch gemeinsames Hören von Musik: Im Rahmen der Online-Reihe „New Empathies – Far from a distance“ lädt die Künstlerin Sandhya Daemgen zu einem virtuellen Workshop ein, der sich der Deep-Listening Technik von Pauline Oliveros widmet. Durch das gemeinsame Hören eines längeren Musikstücks lernen wir, die Aufmerksamkeit neu zu fokussieren und im Austausch von Gedanken und Erfahrungen dazu gleichzeitig die Komplexität des Zuhörens zu erforschen. Wann haben wir das letzte Mal einfach nur zugehört? Wohin kann uns das Zuhören individuell, kollektiv, künstlerisch und politisch führen? Zuhören kann Aufmerksamkeit sein, Verbindung, Empathie, Aktivismus, Feminismus, Offenheit, Intimität, eine notwendige Pause, Raum, Tiefe...
Die Reihe „What’s That Noise?“ würdigt die Musik und Geschichten ausgewählter Künstler*innen der Vergangenheit, die musikalische und gesellschaftliche Grenzen überschritten haben. Die Reihe findet seit 2014 an unterschiedlichen Veranstaltungsorten und auf Festivals für Kunst, Musik und Performance statt. Im Januar 2020 wurde ein erster, sehr erfolgreicher Abend im Rahmen der Reihe „New Empathies“ im Radialsystem realisiert.
Workshop mit Sandhya Daemgen
Sa 25 01 2020 20:00 Uhr
Sa 25 04 2020 20:00 Uhr
Die in Berlin lebende Künstlerin Sandhya Daemgen ist Sängerin, Musikerin, Tänzerin und Dozentin und entwickelt interdisziplinäre Performances zwischen Körper, Stimme und Sound. Als Sängerin, Tänzerin und/oder Violinistin arbeitete sie mit international renommierten Künstler*innen wie Tino Sehgal, Arcade Fire, Ari Benjamin Meyers, The Residents und Heiner Goebbels und ist dabei weltweit aufgetreten. An der Seite von Ari Benjamin Meyers hat sie die Kunsthalle for Music mitentwickelt – die Musikperformance war in Rotterdam, Hongkong, Basel und Santa Barbara (USA) zu erleben. Sandhya Daemgen hat in Wien, Hongkong, Basel und Pristina unterrichtet, aktuell arbeitet sie im Duo mit Martin Hansen an einer analogen Elektronikperformance. Daemgen hat einen Abschluss in Kulturwissenschaften und einen Abschluss in Tanz, Kontext und Choreografie.
Künstlerische Leitung und Gastgeberin
Sandhya Daemgen
My Only Memory
Wir hören eine Stimme, ohne zu sehen wer spricht, manchmal ist sie weiblich, dann wieder männlich, teils im Singular, teils im Plural, sie spricht zu sich selbst, fordert sich heraus, antwortet… Die virtuelle Performance „My Only Memory“ von Künstler und Choreograf Juan Dominguez ist gleichzeitig eine zeitgenössisch-soziale wie auch eine poetisch imaginierte Landschaft. Eine Landschaft, die sich an einem Scheideweg befindet – in einer komplexen Situation, in der es eine Vielzahl an Handlungsoptionen gibt, ohne Anleitung, welche davon zu wählen ist.
„My Only Memory“, im Rahmen der Online-Reihe „New Empathies - Far from a distance“ präsentiert, kann als Teil eines poetischen Manifestes von Juan Dominguez verstanden werden. In dieser Performance steht nicht das körperlich-visuelle im Vordergrund, sondern die Stimme und das Zuhören: Ein choreographierter Text wird vorgetragen und dabei wird die Stimme, der wir lauschen, zum physischen Körper und der gesprochene Text zur Bewegung und Handlung des Stücks. Ein Text, der eher gefühlt als gedacht wird, in unseren Geist sickert und dort eine außergewöhnliche, nicht-lineare Zeit schafft, eine Gegenwart, die aus wechselnden Bildern entsteht – und uns dadurch paradoxerweise zu sehen erlaubt…
Online-Performance von Juan Dominguez
Sa 02 05 2020 20:00 Uhr
In englischer Sprache.
Juan Dominguez arbeitet seit 1986 als Performer, Choreograf, Regisseur und Kurator im Bereich der performativen Künste und war bereits in über 40 Produktionen, unter anderem mit La Ribot, involviert. Darüber hinaus lehrt er im Bereich Choreografie. Er arbeitet transdisziplinär in Projekten mit Linguist*innen, Wissenschaftler*innen, Architekt*innen oder Künstler*innen anderer Bereiche. Seit 1992 produziert er eigene Arbeiten, die das Theater als Medium sowie die Parameter des Tanzes erforschen. Wichtige Aspekte seiner Arbeit sind nachhaltige Beziehungen, Ko-Autor*innenschaft und die Unabhängigkeit der Kunst von Trends. In den vergangenen Jahren kuratierte Dominguez unterschiedliche Festivals u.a. in Spanien, Frankreich und Belgien. Aktuell ist Juan Dominguez Artist in Residence am Teatro Leal | La Laguna auf Tene-riffa sowie an den Teatros del Canal in Madrid. Sein neues Stück „Between you and me“ feiert im Mai 2020 Premiere.
Der neuseeländische Künstler Joshua Rutter lebt und arbeitet in Ber-lin. Seine künstlerische Praxis umfasst Tanz, Zirkus, Theater, Elektro-nische Musik und zeitgenössische Kunst. In seiner Arbeit setzt er sich mit choreografischen Möglichkeiten auseinander, die er im Internet, in Objekten, in Subkulturen und in der Auseinandersetzung mit maskuli-nen Identitäten findet. In den vergangen 20 Jahren hat er mit ver-schiedenen neuseeländischen und internationalen Künstler*innen zu-sammengearbeitet. 2016 absolvierte er seinen Master of Arts in So-lo/Tanz/Autorschaft an der UdK Berlin.
Konzept, Regie und Text Juan Dominguez
Performance Joshua Rutter
Sound-Material Alejandra Pombo
Lichtdesign Gilles Gentner
Sounddesign Adolfo Garcia
Produktionsleitung Barbara Greiner und Stephanie Königer
Eine Produktion von Juan Dominguez in Koproduktion mit Kunstencentrum BUDA und der Tanzfabrik Berlin, im Rahmen von apap – Performing Europe 2020, kofinanziert durch das Creative Europe Programm der Europäischen Union, Los Teatros del Canal, Madrid, BAD – Bilbao Antherkia Dantza. Mit der Unterstützung von Skogen, Göteborg und NIDO, Rivera-Uruguay. Gefördert durch den Haupt-stadtkulturfonds. Dank an Astrud, Bomba Estéreo, Los Ángeles Azules, Francis Cabrel, Victoria Pérez Royo, María Jerez, Mette Edvardsen und Julia Rodriguez.
YES
Eine Reihe von Lesebegegnungen oder -experimenten zwischen technischen Geräten – mit dem Bildschirm als medialem Raum für zerfließende Intimitäten und zerstreute Handlungen…. Eine Perspektive aus Räumen auf Räume auf Räume: Der Slow Reading Club, erstmalig im Radialsystem im Rahmen der Online-Reihe „New Empathies – Far from a distance“ zu Gast, unterscheidet im Grunde nur wenig zwischen Interface und Körpern, zwischen Architekturen, technischen Hilfsmitteln und Texten, die diese bilden. Die Reihe „YES“ des SRC unter der Leitung von Bryana Fritz und Henry Andersen umfasst im Mai mehrere für sich stehende digitale Sessions für kleinere Gruppen mit dem Ziel, sich zu treffen und zusammen zu lesen, und dabei das Interface als wandelbaren Teilnehmer des Leseexperiments zu beeinflussen, um neue Räume entstehen zu lassen... An vier Abenden im Mai lädt der SRC zu jeweils drei intimen Lesesitzungen im virtuellen Raum ein, bei denen je zwei Künstler*innen mit zwei Teilnehmer*innen ausgewählte Texte lesen. Das künstlerische Konzept sieht vor, dass Thema und Texte erst am Tag der Veranstaltung vom SRC bekannt gegeben bzw. verschickt werden. Am 14. Mai findet ein kollektiver Leseabend in größerer Runde statt.
Slow Reading Club
Mi 06 05, Sa 09 05, Mi 13 05, Do 14 05 und So 17 05 ab 20:00 Uhr
Der Slow Reading Club stellt Dokumente und Protokolle für die Sessions zur Verfügung.
Der Slow Reading Club (SRC) ist eine semi-fiktive Reading Group, die 2016 von Bryana Fritz und Henry Andersen ins Leben gerufen wurde. Die Lesegruppe setzt sich mit konstruierten Situationen im Kontext von kollektivem Lesen auseinander: Der SRC betrachtet, testet und unterbricht „Leser*innenschaft“, um die Berührungspunkte zwischen Lesenden und Text, zwischen Text und Text sowie zwischen Leser*in und Leser*in neu zu befragen. Dabei geht es dem Slow Reading Clubs nicht so sehr um eine Dekonstruktion oder auch schlicht ein Verständnis der betreffenden Texte, als vielmehr darum, einen Moment der Maßlosigkeit, des Exzesses zu schaffen – um kurzfristig die kritische (Lese-)Distanz zugunsten einer Intimität aufzulösen und die Wirkungen auf den Text zu verhandeln…
Künstlerisches Konzept
Slow Reading Club: Bryana Fritz und Henry Andersen
Scores for the Time being
Mit einem Online-Workshop begibt sich die interdisziplinäre Forschungsgruppe „Scores for Gardens“ auf die Suche nach künstlerischen Ausdrucksformen für die aktuelle Ausnahmesituation: Weltweit sind Menschen im Augenblick mit einem Zustand des „Dazwischen“ konfrontiert. Was nach dieser Zeit kommen wird, ist ungewiss, und unser bisheriges Leben scheint bereits weit entfernt… Nostalgie und Unsicherheit prägen unsere Beziehungen, und die Verwundbarkeit und Zerbrechlichkeit unserer bisherigen Strukturen werden immer sichtbarer. Wir erleben eine Zeit, die es so vorher noch nie gegeben hat – und wenn man das „Dazwischen“ als ein dafür zutreffendes Narrativ definiert, lassen sich daraus wichtige Fragen ableiten: Wie reagieren unsere Körper und (künstlerische) Sprache auf die Situation? Und wie beeinflusst dies die Wahrnehmung unserer Umgebung?
Im Rahmen des Workshops teilen die Gastgeber*innen des gemeinschaftlichen digitalen Gartens ihre spielerische Herangehensweise und changierenden Perspektiven in dem Versuch, diesem „Dazwischen“ eine Form zu geben und es auszugestalten. Mit angeleiteten Hör-, Bewegungs- und Schreibübungen werden die Grenzen und Möglichkeiten des „Dazwischen“ ausgetestet: Wir werden zu Früchten, Bäumen, Bakterien, Wurzeln und zu feuchter Erde, wir werden vergraben, vergessen, verändert… In dieser zeitkritischen Gegenwart versammeln wir uns im fiktiven Raum eines Gartens und fragen danach, wie wir einen Raum einrichten und gestalten können, in dem wir Dinge wie Ungewissheit, Trauer oder Freude geschehen lassen können?
„Scores for the Time being“ – inspiriert von der Erzählung „A Tale for the Time being“ („Eine Geschichte für einen Augenblick“) von Ruth Ozeki – ist ein kollektiver Versuch der Forschungsgruppe „Scores for Gardens“, einen temporären digitalen Garten zu erschaffen. Mit Blick auf die symbiotischen und organischen Formen eines Gartens wird die Komplexität einer künstlerischen Praxis reflektiert, die transdisziplinär, kollaborativ und von zu Hause realisiert wird. Während des einwöchigen Workshops wird ein virtueller Raum geschaffen, in dem die Teilnehmer*innen mit den Künstler*innen gemeinsam an Themen arbeiten. Der Workshop beginnt und endet jeweils mit einem Online-Treffen, bei dem alle Teilnehmer*innen zusammen kommen.
Programm
Mo 25 05 2020 10:00 Uhr
Di 26 05 2020
Mi 27 05 2020
Do 28 05 2020
Fr 29 05 2020 18:00 Uhr
Mo 25 05 2020 Online-Treffen Dauer ca. 1 Stunde
Fr 29 05 2020 Online-Treffen Dauer ca. 2 Stunden
Di - Do erhalten die Teilnehmer*innen des Workshops per E-Mail Aufgaben und Materialien.
Scores for Gardens ist eine interdisziplinäre Forschungsgruppe, die 2019 von Katrine Elise Leth Nielsen, Juan Felipe Amaya González und Angeliki Tzortzakaki gegründet wurde. Sie nutzt die symbiotische und organische Form des Gartens, um die Komplexität von transkulturellen und unkonventionellen kollaborativen künstlerischen Praktiken zu untersuchen und zu reflektieren. Scores for Gardens arbeitet als offene Lernplattform mittels digitalem Peer to Peer-Austausch und fokussiert sich auf die Schnittmenge von Bewegung, Schreiben und Arbeit mit der Stimme.
Organisation und künstlerische Konzept
Katrine Elise Leth Nielsen, Angeliki Tzortzakaki und Juan Felipe Amaya Gonzáles
„Score for Gardens“ wird unterstützt von Travers, Kopenhagen, und Radialsystem. Mentor: Matthias Mohr.
„New Empathies“ wird gefördert von der Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa. Medienpartner: tip Berlin, Ask Helmut und Exberliner.
Vogelsang
Searching for sound, distracted by colour…Wie klingt ein verlassener Ort? Über fünf Jahre hinweg hat der Klangkünstler Peter Cusack den ehemaligen sowjetischen Militärstützpunkt Vogelsang im Norden von Berlin besucht und mit Tonaufnahmen und Fotografien die Veränderungen eines Ortes dokumentiert, der vor fast 30 Jahren verlassen wurde und seitdem immer mehr zur Ruine verfällt. In einer Lecture Performance im Rahmen der Online-Reihe „New Empathies – Far from a distance“ im Radialsystem stellt er sein dort gesammeltes Material als eine Kombination aus Geschichten, Klängen und Bildern vor. Über den Zugang des Hörens macht er so auf die Vielschichtigkeit von Transformationsprozessen aufmerksam, die auf eine Krise folgen… Wie hat sich unsere Lebensrealität in der Krise verändert, können wir diese Veränderung hören?
60 km nördlich von Berlin in einem Wald gelegen, beherbergte Vogelsang auf dem Höhepunkt seiner Zeit nicht nur Atomwaffen, sondern mit den dort stationierten sowjetischen Armeeangehörigen und ihren Familien auch mehr als fünfzehntausend Menschen. Einst eine blühende Stadt mit Cafés, Schulen, Sporthallen und Kinos wurde dieser Ort 1994 vom Militär aufgegeben und seitdem dem Verfall überlassen. Heute ist das Gebiet ein Naturreservat, aber die Ruinen sind geblieben. Einige Gebäude wurden abgerissen, andere verfallen, manche kann man heute noch fast im Originalzustand besichtigen. Es ist ein kraftvoller, stimmungsgeladener Ort, der sich ständig weiterentwickelt. Geister der Vergangenheit verstricken sich mit möglichen Zukünften. Langsam kehrt die Natur an diesen verlassenen Ort zurück: Eulen, Kraniche, Rehe und Spechte sind hier zu Hause, Wölfe sind vor kurzem zurückgekehrt, Kleintiere, Pilze, Moose, Bäume, Winde und Wasser sind beständig am Werk. Zugleich zieht er eine bizarre Auswahl von Menschen an: Vogelbeobachter*innen, Fotograf*innen, Drogenabhängige, Spieler*innen von GPS-Spielen und US-Soldat*innen, die auf der Suche nach Erinnerungsstücken aus dem Kalten Krieg sind… sie alle hinterlassen ihre Spuren und Geschichten.
Lecture Performance mit Peter Cusack
Sa 06 06 2020 20:00 Uhr
In englischer Sprache.
Der Klangkünstler, Musiker, Sound Journalist und Field Recordist Peter Cusack beschäftigt sich mit den Klängen seiner Umgebung und nimmt diese vor Ort auf. Im Jahr 1998 initiierte er das "Favourite Sounds Project", um herauszufinden, wie Menschen mit den Klanglandschaften der Orte, an denen sie leben, interagieren. Ausgehend von London reiste das Projekt in andere Weltstädte wie Peking, Prag, Manchester, Hull und Berlin. Sein Projekt "Sounds from Dangerous Places" untersucht die Klanglandschaften von Orten mit großen Umweltschäden wie den kaspischen Ölfeldern, der Sperrzone von Tschernobyl und dem Aralsee in Zentralasien und stellt die Frage: "Was kann man über gefährliche Orte lernen, wenn man ihren Geräuschen lauscht?“.
Künstlerisches Konzept
Peter Cusack
INTERMEDIA
Eine Soundinstallation für nahe und ferne Menschen: Mit „INTERMEDIA“ lädt der Komponist Wojtek Blecharz im Rahmen der Online-Reihe „New Empathies – Far from a distance“ im Radialsystem zu einer Soundinstallation ein, bei der das Publikum aktiv an der Klangerzeugung mitwirkt. Aus der Situation des Lockdowns heraus, der das Leben vieler Menschen auf eine begrenzte Fläche reduziert – derselbe Raum dient zugleich zum Leben, Arbeiten, Essen und Schlafen – hat Blecharz eine interaktive und räumliche Klangvermittlung entwickelt, die den soziale Aspekt von Musik betont und versucht unserer aktuell begrenzten Lebensrealität über das Klangerlebnis neuen Raum zu verschaffen.
In einer Zeit, in der jede Art von Musik zu jeder Zeit, an jedem Ort abgespielt werden kann, nutzt Blecharz verfügbare Technologien, um die lange Tradition des gemeinsamen Musizierens im häuslichen Umfeld in unserem Alltagsleben zu reaktivieren. In seiner Soundinstallation sind die Teilnehmenden keine passiven Zuhörer*innen: Die Struktur des Stücks besteht aus mehreren Tonspuren mit unterschiedlichen Klangcharakteristika, die sich zu einer vielschichtigen Textur ergänzen, wenn sie zusammen abgespielt werden. Je nach Anzahl der technischen Geräte (Laptop, Smartphone, Tablet, etc.) und je nachdem, wo im Raum oder der Wohnung diese Geräte platziert sind, variiert die Klanginstallation. Während eines Zoom-Treffens erhalten die Teilnehmer*innen eine Einführung, wie sie die online verfügbaren Tracks abspielen und sich so eine je individuelle Installation zusammenzustellen können, die beliebig oft wiederholt und variiert werden kann.
Interaktive Soundinstallation von Wojtek Blecharz
Sa 13 06 2020 20:00 Uhr
In englischer Sprache.
Wojtek Blecharz, 1981 in Gdynia, Polen geboren, schloss 2006 seinen Master of Arts an der Fryderyk-Chopin-Musikuniversität in Warschau ab und promovierte 2015 in Komposition an der University of California, San Diego. Seit 2012 kuratiert er das Instalacje Musikfestival für nichtkonzertante Musik im Nowy Teatr in Warschau. Zu seinen Werken zählen unter anderem die drei Operninstallationen „Transcryptum“ (2013), „Park-Opera“ (2016) und „Body-Opera“ (2018). 2018 komponierte er darüber hinaus die Oper „Fiasko“, basierend auf einem Text von Elfriede Jelinek. 2012 erhielt Blecharz ein Stipendium der Internationalen Ferienkurse für Neue Musik Darmstadt, 2013 war er eine*r der Gewinner*innen des IMPULS Kompositionswettbewerbs in Graz. Im Oktober 2016 nahm er an Ari Benjamin Meyers’ 15-tägiger Installation „Musikwerke Bildender Künstler“ im Hamburger Bahnhof teil, während der er jeden Tag für vier Stunden öffentlich im Museum komponierte. Er erschuf Werke u.a. für das Kwadrofonik Ensemble (Warschau), das Klangforum Wien, das International Contemporary Ensemble (NYC), das Collegium Novum Zürich und das Ensemble Eklekta (Genf). Aufgeführt wurden seine Werke u.a. beim Warschauer Herbstfestival, bei der Salzburg Biennale, im Museum für Moderne Kunst in Tel Aviv sowie beim MATA Festival (NYC).
Künstlerisches Konzept
Wojtek Blecharz
7
Jede Zeit bringt ihre Weltwunder hervor: Wunder, mit denen die jeweilige Vorstellung von Unmöglichkeit mit einer Konstruktion überwunden wird, die größer und imposanter ist, als es die Welt bislang gesehen hat. Diese architektonische und künstlerische Tour de Force ist Sinnbild für den Sieg des Menschen über physikalische Grenzen und Naturgesetze. Aber ist es nicht gerade der menschliche Körper, der diese imposanten Werke entwickelt hat und noch wunderbarer erscheinen lässt? Ist nicht gerade der Körper mysteriöser und schöner als die gigantischen Weltwunder, die wir um uns herum erschaffen haben? In welchem Verhältnis steht der Körper zu den Architekturmonumenten unserer Umgebung und wie würden diese sich verändern, wenn wir anfingen, sie wieder vom Körper her zu denken?
Performance von Radouan Mriziga
Fr 24 01 2020 19:30 Uhr
Sa 25 01 2020 19:30 Uhr
Radouan Mriziga, geboren 1985 in Marrakesch, arbeitet als Choreograf und Tänzer in Brüssel. Er studierte Tanz in Marroko, Tunesien und Frankreich und schloss sein Studium an der P.A.R.T.S. in Brüssel ab. Im Anschluss konzentrierte er sich auf seine eigene kreative Arbeit und zeigte seine Choreografien weltweit. Seine Performances untersuchen das Verhältnis von Bewegung, Struktur und Komposition. Er stellt den Menschen als Erschaffenden seiner Umwelt ins Zentrum seiner Arbeit und knüpft Verbindungen zwischen dem Körper in Bewegung, der Ausdrucksform alltäglicher Materialien und der Architektur der gebauten Umwelt. Mriziga ist Artist in Residence am Moussem Nomadic Arts Centre und von 2017 bis 2021 am Kaaitheater in Brüssel.
Burn Time
Eine intensive Wahrnehmung von Zeit: Im Rahmen der Reihe „New Empathies“ zeigt das Radialsystem an drei Januarabenden die Performance „Burn Time“ des portugiesischen Künstlers André Uerba. Ganz allmählich, nacheinander – oder manchmal auch zur gleichen Zeit – werden in André Uerbas Choreografie zarte Fäden entzündet: In Zeitlupe entsteht auf diese Weise ein Raum, der sich durch die brennenden Fäden verändert und verblasst und in der Dunkelheit eine starke suggestive Kraft entfaltet. Die Ruhe des Raumes, das allmähliche Aufsteigen der Lichtpunkte und die sanften Bewegungen der Performer*innen verlangsamen unsere Wahrnehmung der Zeit: „Burn Time“ entschleunigt das Tempo, erkennt den Augenblick an und gibt sich dem Hier und Jetzt hin.
Performance von André Uerba
Fr 24 01 2020 21:00 Uhr
Sa 25 01 2020 21:00 Uhr
So 26 01 2020 21:00 Uhr
André Uerba, geboren in Lissabon, studierte Fotografie an der Ar.Co, Lissabon, und Tanz am HZT. Neben der Arbeit als Performer mit verschiedenen Künstler*innen gründete Uerba das Produktionshaus SHORT HOPE. Seit 2007 arbeitet Uerba als künstlerischer Mitarbeiter, Koordinator und Performer mit dem Duo Ana Borralho & João Galante. Uerba hat unter anderem als Performer in Produktionen von Alexandra Pirici, Antonija Livingstone, Carlota Lagido, Clément Layes, Christian Falsnaes, Sandra Man & Moritz Majce, Naufus Ramírez-Figueroa und Tino Sehgal gespielt. 2013 erhielt er das Young Creator Stipendium des Centro Nacional de Cultura (Portugal). 2018 stellte ihm die Berliner Senatsverwaltung für Kultur und Europa Mittel für die Entwicklung des Projekts „Burn Time“ zur Verfügung, das bisher in Portugal, Spanien, Slowenien und Deutschland gezeigt wurde.
Pas de deux #1 – Constructing Love
Solistenensemble Kaleidoskop
Fr 24 01 2020 17:00 Uhr
So 26 01 2020 17:00 Uhr
Milla Koistinen studierte Tanz an der Theaterakademie in Helsinki, Finnland und Choreografie an der HfS Ernst Busch/HZT Berlin. Sie arbeitete unter anderem mit Kristian Smeds, Hiroaki Umeda, Cie Heddy Maalem und Christine Gaigg. Seit 2008 kreiert sie ihre eigenen Arbeiten, die unter anderem in der Dampfzentrale Bern, bei der Sommerszene Salzburg, im HAU Hebbel am Ufer, im Tanzhaus NRW und im Mad House Helsinki aufgeführt wurden. Sie arbeitet als Gastlehrerin u.a. für Sasha Waltz & Guests, für die Toula Limnaios Company, das Staatstheater Braunschweig, die Iceland Academy of the Arts, das Tanzhaus NRW, SEAD Salzburg, das Tanzhaus Zürich, die der Theaterakademie Helsinki und PAC in Ramallah (Palästina).
Paul Valikoski studierte Violine am Glenn Gould Conservatory in Toronto unter Mark Fewer. Zwischen 2002 und 2005 hat er u.a. mit der Hamilton Philharmonic und im Thunder Bay Symphony Orchestra gespielt, 2005 mit dem Christchurch Symphony Orchestra in Neuseeland. Valikoski interessiert sich für kollaborative Aufführungen und Komposition. Er ist Teil des Solistenensemble Kaleidoskop und Gast des Ensemble Resonanz in Hamburg. Er hat neben anderen mit Susanne Kennedy, Michael Rauter, Sasha Waltz & Guests, FC Bergman, Sabrina Hölzer, Mouse on Mars und Milla Koistinen zusammengearbeitet.
„Denn jeder weiß, dass Liebe eine Neuerfindung des Lebens ist. Die Liebe neu zu erfinden, bedeutet diese Neuerfindung neu zu erfinden“, schreibt der französische Philosoph Alain Badiou. In „Constructing Love“, dem ersten Teil der neuen Reihe „Pas de Deux“ des Solistenensemble Kaleidoskop, setzen sich die Choreografin Milla Koistinen und der Musiker Paul Valikoski mit Begegnung, Trennung, Vereinigung und deren Ende, Harmonie und Verneinung auseinander. Die Künstler*innen interagieren miteinander zwischen Objekten und Klängen, eine markante Choreografie spannt den Bogen zwischen individualistischem Nachsinnen und Momenten des gemeinsam Erlebten. Milla Koistinen und Paul Valikoski laden das Publikum ein, über die Neuerfindung des Lebens und der Liebe nachzudenken.
Pillow Talk
Performance von Begüm Erciyas
Do 29 08 2019 19:00 Uhr
Begüm Erciyas, 1982 in Ankara geboren, lebt seit 2010 in Berlin. Bereits während ihres Studiums der Molekularbiologie und Genetik war sie in verschiedene Tanzproduktionen in der Türkei involviert und Teil der Forschungs- und Projektgruppe [laboratuar]. Später studierte sie Choreografie in Salzburg. Seit 2006 ist sie Teil des Künstler*innenkollektivs Sweet and Tender Collaborations. Sie war Artist in Residence an der Akademie Schloss Solitude (2007), am K3 – Zentrum für Choreographie – Tanzplan Hamburg (2009), an der Villa Kamogawa / Goethe-Institut Kyoto (2014) und am Circuit Est / Goethe-Institut Montréal (2015). 2017 erhielt sie ein Forschungsstipendium der Saison Foundation in Tokyo. Ihre bisherigen Arbeiten wurden u.a. beim Kunstenfestivaldesarts (Brüssel), bei Tanz im August (Berlin), auf Kampnagel (Hamburg), bei iDANS (Istanbul) und im Tanzquartier Wien präsentiert.
Im Rahmen der neuen Reihe „New Empathies” im Radialsystem zeigt Begüm Erciyas, die sich in ihrer performativen Forschung mit dem Akt des Sprechens und der Unheimlichkeit der Stimme auseinandersetzt, eine immersive Performance, bei der die Stimme ein unergründliches Medium bleibt. Im digitalen Zeitalter sind wir ständig im Zweifel darüber, ob eine Person spricht oder eine Maschine. Gewissheit und Zweifel darüber wechseln sich in „Pillow Talk” ständig ab. Das Publikum – verteilt auf einer hügeligen Landschaft aus Kissen – tritt mit einem*einer virtuellen Partner*in in einen Dialog, innerhalb dessen Eindrücke geteilt werden, kurz geschlafen und gemeinsam Zeit verbracht wird. „Pillow Talk” ist eine Einladung, sich in Beziehung zum Nichtmenschlichen zu setzen.
Extinction Room & Nocturne for broken vocal cords
Installation & Performance von Sergiu Matis
Fr 30 08 2019 20:00 Uhr
Sergiu Matis wurde in Cluj-Napoca, Rumänien, geboren. Dort studierte er von 1991-2000 Tanz am Liceul de Coregrafie und anschließend an der Akademie des Tanzes Mannheim als Stipendiat der Tanzstiftung Birgit Keil. Seine Karriere begann am Tanztheater Nürnberg. Seit 2008 lebt Sergiu Matis in Berlin. Er arbeitete u. a. mit Colette Sadler-Stammer Productions, Yossi Berg, Oded Graf, Daniel Kok und Jee-Ae Lim. Im Februar 2014 schloss er als Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes den Master Solo/Dance/Authorship (SODA) der Universität der Künste Berlin/HZT ab. Als Choreograf schuf er u.a. die Stücke „Keep It Real“ (2013), „Fake – the real deal“ (2014), „Explicit Content“ (2015), „Simuliert“ (2015), „Deleted Scenes“ (2016), „Neverendings“ (2017) und „Hopeless.“ (2019), die in Berlin und international gezeigt wurden. Matis begreift neben dem Körper die Stimme als gleichwertiges Instrument des Tanzes und choreografiert Bedeutung und Ideen mittels Sprache als performativem Text. Seit 2009 tanzt er in verschiedenen Produktionen von Sasha Waltz & Guests.
Im Rahmen der Reihe „New Empathies“ zeigt Sergiu Matis mit „Extinction Room“ eine performative Mehrkanal-Soundinstallation, die aus Aufnahmen gefährdeter und ausgestorbener Vogelarten besteht. Die Installation untersucht den Begriff der Natur in der westlichen Gesellschaft und dessen Repräsentation in künstlerischen und kulturellen Produkten in einer Zeit, in der Klimawandelexpert*innen uns die Erlaubnis zur Panik geben. Das Publikum wird durch eine gemeinsam mit AGF (Antye Greie) entwickelte Klanglandschaft geführt. Während die Besucher*innen die Rufe, Schreie und Lieder der Vogelarten aus den Lautsprechern hören, die wie Käfige im Raum platziert sind, erzählt der Performer deren Geschichten. Diese verbinden die Mythen der Arten mit den Geschichten ihres Aussterbens. Volkslieder und -tänze werden zum Leben erweckt. Der emotionale Gehalt - die Sorge - wird durch den Performer, der die Besucher*innen durch diese traumatischen Verlusterfahrungen führt, noch vermehrt.